Welche Überlegungen standen am Beginn der Entwicklung des ProAssessments?
Goriupp: Wir sehen im Fußball immer die Performance im Training und im Spiel, wissen aber nicht, welches Potenzial in einem Talent steckt und wie viel davon gerade ausgeschöpft wird. Genau deshalb haben wir uns das Ziel gesetzt, mit dem ProAssessment die Leistungsfähigkeit von Fußballerinnen und Fußballern noch genauer zu evaluieren. Das dient einer besseren individuellen Trainingssteuerung, einer besseren Einschätzung ihres Marktwert-Potenzials und der Einschätzung der Fähigkeiten von Talenten beim Scouting.
Welche Daten werden im Rahmen eines ProAssessments gesammelt?
Gjeltema: Ein Teil unserer Daten entsteht durch herkömmliche Messungen. Zum Beispiel, ob das Tor oder ein Ziel getroffen wurde, die Zeit für eine Ballaktion oder die Laufgeschwindigkeit. Zusätzlich erfassen wir erstmals Daten, die bislang nur schwer exakt zu messen waren: die Ballgeschwindigkeit, der genaue Auftreffpunkt eines Balles oder die Distanz zu potenziellen Zielen. In Summe entstehen durch jedes Assessment pro Spielerin oder Spieler 500 Gigabyte an Rohdaten, auf denen unsere Messungen und Analysen basieren. Wichtig ist für uns aber nicht nur, was wir messen, sondern auch wie genau wir messen. Deshalb haben wir alle Komponenten unseres High-Tech-Messsystems, bestehend aus Sensoren, Kameras, Lasern, den Ballmaschinen und dem Spielertracking in einer Systemspezifikation gründlich validiert, um statistische Messunsicherheiten miteinbeziehen zu können.
Warum ist es so wichtig, dass die Auswertung auf Rohdaten basiert?
Goriupp: Die Aktions-Rohdaten machen im Vergleich zu einer reinen Ergebnis-Auswertung einen enormen Unterschied bei der Analyse. Bei der Schussgenauigkeit können wir zum Beispiel eine genaue Verteilung der Streuung abbilden, unabhängig davon, ob Bälle genau im Kreuzeck, an der Latte oder knapp daneben gelandet sind. Die für jeden erkennbare Performance wäre hier die Anzahl der erzielten Tore. Wir können aber auch sagen, wie viele Bälle wie knapp danebengegangen sind. Und damit noch genauer die eigentliche Leistungsfähigkeit im Bereich Schussgenauigkeit abbilden.
Was ist bei der Auswertung der Daten zu beachten?
Gjeltema: Als Ausgangsbasis haben wir standardisierte und gleichbleibende Bedingungen in den ProAssessments. Dadurch können wir Spielerinnen und Spieler fair und objektiv bewerten und vergleichen – über einen gewissen Zeitraum bzw. untereinander. Unser Data-Science- Team destilliert die enormen Datenmengen in eine nützliche und verständliche Form, um Mannschaften in ihrer Arbeit bestmöglich zu unterstützen. Das geht nicht ohne Computer-Rechenleistung und Algorithmen. Datenfusion vereint die Daten der unterschiedlichen Sensoren, sogenanntes Feature Engineering leitet neue Parameter daraus ab und komplexe mathematische Modelle zeigen Zusammenhänge auf. Beispielsweise machen Zeitreihenanalysen die Veränderungen der gezeigten Leistungsfähigkeit einer Person über eine längere Zeitspanne sichtbar.
Die Ergebnisse einer Spielerin oder eines Spielers werden im ProAssessment-Report grafisch dargestellt. Was lässt sich daraus ablesen?
Gjeltema: Die skills.lab 360-Grad-Analyse stellt die gezeigte Leistung der einzelnen Spielerin oder des einzelnen Spielers in den unterschiedlichen Parametern dar. Außerdem wird die Leistung im Vergleich zur gesamten Mannschaft bewertet. Nach mehreren absolvierten ProAssessments einer Spielerin oder eines Spielers zeigt eine Trendanalyse, wie sich die individuelle Leistung in den vergangenen Monaten und Jahren entwickelt hat. Im Kontext mit dem Wissen der Trainer über den Zustand der einzelnen Spielerinnen und Spieler machen unsere Analysen es möglich, ein ganzheitliches Bild über die Leistungsfähigkeit des Kaders zu bekommen. Daten-unterstütztes Arbeiten wird so auch für Trainer zur Selbstverständlichkeit, um kompetitiv zu sein.
Wie intensiv ist ein ProAssessment eigentlich für eine Spielerin oder einen Spieler im Vergleich zu einem Mannschaftstraining?
Goriupp: Die Gespräche, aber auch Antworten in durchgeführten Umfragen mit Spielerinnen und Spielern haben ergeben, dass die Belastung mit einem Mannschaftstraining vergleichbar ist. Ein ProAssessment lässt sich also sehr gut und unkompliziert in den Wochen-Player-Load integrieren und hat keine Auswirkungen auf die Belastungssteuerung der Spielerinnen und Spieler.
Inwiefern lässt sich das Potenzial einer Spielerin bzw. eines Spielers mithilfe des ProAssessments beurteilen?
Goriupp: In unserem ProAssessment- Report werden die leistungsrelevanten Parameter der technischen und kognitiven Leistungsfähigkeit anhand von 13 ausgewählten Übungen mit insgesamt 140 Ballaktionen ausgewertet. Dabei schauen wir ganz gezielt auf die Qualität der Ballkontrolle, die Genauigkeit bei Pässen und Schüssen, auf die Schussstärke und die Unterschiede in der beidbeinigen Ausführung. Außerdem werden die Aktionen sowohl nach der motorischen, als auch nach der kognitiven Handlungsschnelligkeit bewertet.
Die skills.lab Arena macht es erstmals möglich, die Beidbeinigkeit zu messen. Wie funktioniert das?
Gjeltema: Gewisse Schuss- und Passübungen müssen im Rahmen eines ProAssessments für jedes Bein isoliert durchgeführt werden. So können wir messbar machen, was auf dem Trainingsplatz nicht erfasst werden kann. In der Auswertung der Daten ist es uns möglich, die Leistungsfähigkeit des linken und rechten Fußes direkt miteinander zu vergleichen. Das lässt sich anhand des ProAssessment-Reports ablesen.
Welche Bedeutung hat die Beidbeinigkeit im Fußball für einen Trainer heutzutage?
Goriupp: Taktische Variabilität ist im Fußball heutzutage besonders wichtig. Diese taktische Variabilität setzt auch immer öfter eine technische Flexibilität voraus, mit der ein Gegenspieler überrascht werden kann. Wenn der Gegenspieler nicht weiß, mit welchem Fuß der ballführende Spieler passen oder schießen wird, ist es viel schwieriger, eine geeignete Gegenmaßnahme zu setzen als bei vorhersehbaren Bewegungsabläufen.
Kann man durch das ProAssessment nur Feldspieler beurteilen?
Goriupp: Selbstverständlich haben wir für die Position des Torwarts auch spezielle ProAssessments für Keeper erstellt. Hier liegt der Fokus vor allem auf den Bereichen der direkten Torverteidigung und des Torwart-Offensivspiels. Dazu fließen auch eigene Torwart-Athletik- und Kognitions-Auswertungen in die Bewertung ein.
Wie lassen sich die Ergebnisse aus dem ProAssessment auf die Leistungsfähigkeit einer Spielerin oder eines Spielers auf dem Feld übersetzen?
Goriupp: Mit einem guten Ergebnis im ProAssessment besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Spielerin oder der Spieler auch eine gute Performance auf den Platz bringen kann. Ich bekomme sehr oft das Feedback von Trainern, dass sich die objektiven Ergebnisse der ProAssessments mit ihren subjektiven Eindrücken decken. Sollte die Performance auf dem Platz nicht mit der gemessenen Leistungsfähigkeit korrelieren, gilt es zu analysieren, warum das so ist. Das kann an mentalen, konditionellen oder auch taktischen Gründen liegen. Abhängig vom aktuellen Leistungsniveau der Spielerinnen und Spieler können die Erkenntnisse des Assessements Auswirkungen auf die zukünftige Trainingsplanung haben.
Welches datenwissenschaftliche Potenzial liegt in dieser Form des Assessments?
Gjeltema: Wir wollen klare Unterscheidungsmerkmale greifbar machen, die derzeit nicht am Platz erfassbar sind. Im Scouting können junge Talente mit den Top- Performern der Profis, die schon im Nachwuchs ProAssessments gespielt haben, verglichen werden. In und nach der Reha-Phase einer Verletzungspause kann man die Leistung mit Daten im fitten Zustand vergleichen, um den Erholungsprozess zu optimieren. Ganze Jahrgänge sind über einen längeren Zeitraum beobachtbar – als Richtwert für Neuzugänge und um Entwicklungen einer Altersklasse früh zu erkennen. Je mehr Vereine und Verbände über eine skills.lab Arena verfügen, umso bessere internationale Vergleiche mit anonymisierten Daten sind möglich. Das Potenzial ist also enorm. Gleichzeitig entwickeln sich auch die Möglichkeiten der Datenerfassung und Datenauswertung ständig weiter und damit unsere Herangehensweise, wie wir in Zukunft Trainer und Talente mithilfe von Technologie noch besser fordern und fördern können.