Was zeichnet die Ausbildungsphilosophie des FC Bayern aus?
Sauer: Das Prinzip des „Mia san mia“ ist ein wesentlicher Teil unserer Philosophie. Es geht um Charakter, Siegermentalität und Identifikation. Regionalität spielt für uns also eine wichtige Rolle. Im Raum München und Bayern wollen wir daher bis zur U14 die besten Talente an uns binden. Ab 14, 15 Jahren beginnen wir auch damit, uns innerhalb der Grenzen Deutschlands umzusehen, weil das Einzugsgebiet um München sonst zu klein wäre, um Spieler für die Champions League auszubilden. Ab 16 Jahren kommt auch Europa dazu. Allerdings ist uns eine Balance in den Nachwuchsmannschaften sehr wichtig. Wenn für die U17 ein Spieler aus dem Bundesgebiet oder dem Ausland kommt, dann muss es einer der besten drei Spieler dieses Jahrgangs sein. Damit ist gewährleistet, dass auch in unserer U19 zwischen 60 und 65 Prozent des Kaders bayerische Spieler sind.
Talente, die man vom Weg des FC Bayern überzeugt, versucht man auch individuell zu fördern. Welchen Stellenwert hat die Arbeit mit den einzelnen Spielern?
Sauer: Individualtraining ist ein Aspekt, der derzeit viel mehr in den Fokus rückt. Ab Mitte der 2000er- bis Mitte der 2010er-Jahre war Fußballausbildung sehr stark von Taktik und der Entwicklung taktischer Konzepte geprägt. Ich habe den Eindruck, dass sich das zuletzt wieder etwas geändert hat. Die Mannschaft muss zwar weiterhin als Team funktionieren, aber wenn es darum geht, Titel zu gewinnen, brauchst du die individuelle Klasse von Spielern, die den Unterschied machen. Deshalb versuchen wir im Rahmen unserer Ausbildungsstrategie Spieler positionsspezifisch anhand ihrer individuellen Stärken zu entwickeln. Gerade im Alter zwischen 14 und 17 Jahren müssen technische Feinheiten und kognitive Fähigkeiten in den Vordergrund rücken, um Spezialisten auf den einzelnen Positionen zu erhalten. Das ist im Mannschaftstraining kaum möglich, weil sich ein Trainer in einem eineinhalbstündigen Training nicht um jeden einzeln kümmern kann.
Welche Rolle nimmt die skills.lab Arena im Individualtraining des Vereins ein?
Sauer: Sie ist das einzige Trainingstool, in dem wir fußballspezifische Fähigkeiten ausbilden können und deshalb eines der wichtigsten Instrumente der Individualisierung. Im Eingangsbereich unseres Campus haben wir Bilder und Zitate von ein paar unserer Absolventen angebracht, unter anderem von Philipp Lahm. Er hat einmal auf die Frage nach dem Geheimnis seines Erfolgs gesagt, dass er gewisse Abläufe so oft wiederholt hat, bis sie so perfekt waren, dass er unter Stress kein Problem mehr hatte, sie auf den Platz zu bringen. Genau darum geht es. In der skills.lab Arena kann ein Spieler in einer halben Stunde so intensiv mit dem Ball individuell trainieren, wie er es auf dem Trainingsplatz in drei oder vier Einheiten nicht schaffen wird. Die Bedeutung der Arena in der Entwicklung der fußballerischen Fähigkeiten ist als enorm. Ganz nebenbei macht das Training dort auch Spaß, was ja nicht bei jedem Individualtraining der Fall ist. Deshalb gibt es auch so gut wie keine Minute, in der die Arena nicht von unseren Spielern genützt wird.
Durch die vielen Trainings und Assessments generiert die skills.lab Arena auch eine Menge an Daten von jeder Spielerin und jedem Spieler. Was macht der Verein damit?
Sauer: Zum einen helfen uns diese Daten in der Leistungskontrolle. Wir können sofort sehen, ob und wie sich Spieler in gewissen Bereichen verbessert haben und dahingehend das Training anpassen. Je mehr Daten wir von unseren Spielern sammeln, umso aussagekräftiger werden sie. Besonders interessant wird es dann, wenn wir die Daten aktueller Talente mit jenen von Spitzenspielern wie Jamal Musiala vergleichen können, der vor vier Jahren noch in der U17 gespielt hat. Anhand seiner Leistungen im skills.lab können wir beurteilen, wie weit ein derzeit 15- oder 16-Jähriger in gewissen Bereichen vom absoluten Toplevel entfernt ist. Dasselbe gilt bei Spielern, die wir zum Probetraining einladen.
Das heißt, die skills.lab Arena spielt auch beim Scouten von Spielern eine Rolle?
Sauer: Bei vielen Spielern, die bei uns auf Probe trainieren, versuchen wir über ein Screening in der skills.lab Arena einen noch besseren Eindruck von seinen technischen und kognitiven Fähigkeiten zu bekommen. Man kann dort in so kurzer Zeit Dinge abprüfen, die man nie sehen würde, wenn man einen Spieler 90 Minuten in einem Spiel beobachtet.
Wie schafft man es, das System an aktuelle Entwicklungen im Fußball anzupassen?
Sauer: Die skills.lab Arena ist ein technisches Trainingsinstrument. Deshalb ist es für uns wichtig, mit unserem Innovationszentrum eine eigene Abteilung zu haben, die sich gemeinsam mit der Anton Paar SportsTec als Partner darum kümmert, dieses Instrument stets weiterzuentwickeln. Da geht es auch darum zu überprüfen, mit welchen Daten andere Vereine arbeiten und welche Themen im Fußball gerade wichtig sind. Es wird also laufend kontrolliert, ob unser Weg der richtige ist. Wir stehen im Wettbewerb mit europäischen Topklubs, die uns teilweise auch wirtschaftlich überlegen sind. Deshalb dürfen wir bei der Auswahl und der Entwicklung unserer Spieler keine Fehler machen. Wenn wir mit den richtigen Daten arbeiten, ist es einfacher, die Entwicklung von Spielern zu prognostizieren und zu begleiten. Gerade bei der Auswahl und der nachweisbaren Weiterentwicklung liegt also der Mehrwert dieser Technologie.
Mit der man sich am Ende also auch einen wirtschaftlichen Nutzen verspricht.
Sauer: Das hat auch Uli Hoeneß bei der Eröffnung des Campus betont. Er hat gesagt, dass wir damit versuchen wollen, dem Transferwahnsinn ein Stück weit aus dem Weg zu gehen. Genau das ist unser Ziel. Jeder Euro, den wir in den Campus und in Talente investieren, soll am Ende dazu führen, dass die Profiabteilung sehr gut ausgebildete Spieler zur Verfügung gestellt bekommt. Dadurch kann man sich zukünftig hoffentlich den einen oder anderen Transfer ersparen.
Fotos: FC Bayern/Fritz Beck bzw. AP SportsTec/Wünscher