Eine Mannschaft aus dem eigenen Nachwuchs heraus zu entwickeln war im Fußball über Jahrzehnte ein Erfolgsrezept. Egal ob Milan unter Arrigo Sacchi, die Class of 92 bei Manchester United oder Pep Guardiolas FC Barcelona – sie alle folgten diesem Muster und prägten eine Ära.
Kann dieser Weg im Fußball anno 2024 noch funktionieren? Wohl kaum.
Die Aktivitäten am Transfermarkt in den vergangenen Jahren verdeutlichen, dass junge Spieler um immer höhere Summen den Verein wechseln und damit weit vor dem Höhepunkt ihrer Entwicklung ihren Heimatverein verlassen. Jugendteams bilden heutzutage kaum mehr das sportliche Fundament eines Vereins im ursprünglichen Sinn, werden dafür aber immer stärker eine fundamentale Einnahmequelle im großen Geschäft Fußball.
Das CIES Football Observatory untersucht regelmäßig, wie hoch die Rendite für top ausgebildete Talente ist. Die jüngste Studie des Forschungsinstituts vergleicht die 100 Vereine mit den profitabelsten Akademien der Welt. Gemessen wird das an den Einnahmen in den vergangenen zehn Jahren durch den Transfer von Spielern, die mindestens drei Jahre im Alter von 15 bis 21 Jahren von einem Verein ausgebildet worden sind.
Unangefochtener Spitzenreiter in dieser Wertung ist SL Benfica. Im untersuchten Zeitraum kommt der portugiesische Rekordmeister auf Einnahmen in Höhe von 516 Millionen Euro durch insgesamt 30 Spieler. Alleine in den vergangenen fünf Jahren generierte Benfica 335 Millionen Euro, allen voran durch die Abgänge von Joao Felix zu Atlético und Rúben Dias zum FC Liverpool. Hinter den Portugiesen folgt mit AFC Ajax (376 Mio. Euro) ein weiterer namhafter Klub, der für seine professionelle Ausbildung bekannt ist. Die Top fünf Vereine komplettieren Olympique Lyonnais (370 Mio. Euro), Real Madrid (364 Mio. Euro) und Chelsea (347 Mio. Euro).
Warum Benfica dieses Ranking klar anführt? Weil der Verein sich voll und ganz der Identifizierung und Entwicklung von Talenten verschrieben hat. In fünf Talentzentren in Portugal sucht, findet und entwickelt Benfica Spieler im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren. 500 befinden sich laufend in der Akademie, dazu kommen 115 Trainer und 90 Personen als zusätzlicher Staff. Einsatz, der natürlich seinen Preis hat. Laut der Finanzierungsberatungsagentur “Oakwell Sports” gibt Benfica jährlich 10 bis 12 Millionen Euro nur für den Nachwuchs aus. Zweifelsohne ist das viel Geld, verglichen mit hunderten Millionen an Einnahmen am Transfermarkt fällt die Summe aber kaum ins Gewicht.
Als früh von Benfica gefunden und gefördert, kann der Klub viel Zeit investieren, um seine Spieler individuell angepasst und mit besonderem Augenmerk auf ihre Technik zu trainieren. Im vereinseigenen Campus passiert das alles auf neun Feldern, drei Sporthallen und unter Einsatz modernster Technologie. Der Grund, warum der Verein sich seit Jahren so stark auf die eigene Jugendarbeit konzentriert liegt auch an den finanziellen Zwängen, denen er unterliegt. Im Vergleich zu Klubs aus der Premier League oder La Liga erhält Benfica in der portugiesischen Liga nicht annähernd so viele Einnahmen aus TV-Geldern oder Sponsorendeals. Die Entwicklung und der Verkauf von Toptalenten ist für den Verein entscheidend, um international auf höchster Ebene konkurrenzfähig zu bleiben.
Dieselbe Strategie verfolgen auch immer mehr Vereine außerhalb der Top-5-Ligen Europas, die mit einer klaren Strategie und nachhaltigen Investments in die eigene Akademie beachtliche Einnahmen erzielen. In Österreich hat der FC Red Bull Salzburg durch eine hochwertige Ausbildung und exzellentes Scouting in den vergangenen fünf Jahren Transfererlöse von 203 Millionen Euro mit selbst ausgebildeten Spieler erwirtschaftet. Das ist genauso viel wie Real Madrid.
In den Niederlanden gibt es hinter den bekannten Großklubs Ajax, Feyenoord und PSV mit AZ Alkmaar einen vierten Verein, der sich mit herausragender Nachwuchsarbeit und einer entsprechend bemerkenswerten Transferbilanz in der jüngeren Vergangenheit einen Namen gemacht hat. Teun Koopmeiners, Myron Boadu und Calvin Stengs sind nur drei von mehreren Youngsters, die AZ in den vergangenen Jahren um jeweils 15 bis 20 Millionen Euro verkaufen konnte. Auch hier kommt der Erfolg nicht von ungefähr und wurde erst 2023 mit dem Gewinn der UEFA Youth League gekrönt.
Als einer der ersten niederländischen Teams hat sich AZ professionell mit Datenanalyse im Fußball auseinandergesetzt. In der erst 2016 neu errichteten Akademie hat der Klub eine eigene Analyseabteilung implementiert, die sich mit allen Teams des Vereins beschäftigt und bei der Rekrutierung und Entwicklung des Nachwuchses genutzt wird. Wie bei anderen Talentfabriken in Europa zeigt sich auch bei AZ der ganzheitliche Ansatz der Ausbildung: So arbeitet der Verein in der Analyse mit VR-Tools und im Training mit Technologie, die gezielt die kognitive Entwicklung der Spieler fördert. Nicht umsonst ist der durch den Film “Moneyball” einer größeren Öffentlichkeit bekannt gewordene, ehemalige Baseball-GM der Oakland Athletics, Billy Beane, seit 2015 Berater und seit 2020 auch Anteilseigner von AZ Alkmaar.
Egal ob Benfica, Salzburg, Alkmaar oder andere Teams, die den Wert und die Erfolgschancen der Talententwicklung verinnerlicht haben – sie alle bekennen sich im gesamten Verein dazu. Das zeigt sich in bewussten Investments in Know-how und Trainingseinrichtungen, im Einsatz von modernster Technologie, der Entwicklung einer klaren und ganzheitlichen Ausbildungs- und Trainingsstrategie, in der jedes Talent individuell gefördert wird und einem klaren Weg für jeden Spieler zum Profi. Der Rest entscheidet sich auf dem Platz.