“Mir wurde vorhin gesagt, dass es da eine Redewendung in England gibt, die lautet: ‘Mit Kindern gewinnst du keine Titel’. Die kannte ich nicht”, sagte Jürgen Klopp und schob nach einem prüfenden Blick in die versammelte Presse mit breitem Grinsen hinterher: “Schreibt den Spruch neu.” Eben hatte sein Team im Finale des EFL Cups den FC Chelsea mit 1:0 nach Verlängerung besiegt. Die siegreiche Elf war keine gewöhnliche.
Trent Alexander-Arnold, Darwin Nunez und Dominik Szoboszlai fehlten verletzt, dafür kamen gleich sechs Spieler im Alter zwischen 18 und 21 Jahren zum Einsatz, die aus dem eigenen Nachwuchs stammen. Und das gegen Blues, deren Startelf-Marktwert rund 100 Millionen Euro über jenem von Liverpool lag. Talententwicklung am Limit. “In meiner über 20 Jahre dauernden Trainerkarriere ist das der mit Abstand besonderste Titel”, so Klopp nach seinem siebten Finalerfolg als LFC-Coach.
Spieler wie Conor Bradley oder Jayden Danns von Liverpool, aber auch Kobbie Mainoo von Manchester United und Jack Hinshelwood von Brighton stehen stellvertretend für den Entwicklungsschritt, den viele Vereine der Premier League in den vergangenen Jahren gemacht haben. Aus dem Kampf um die besten und teuersten Spieler am Transfermarkt ist der Kampf um die besten Talente und einer um die beste Akademie geworden.
Dass sich dieser Talent-Wettbewerb und dazugehörige Investitionen auf lange Sicht mehr als bezahlt machen, beweist der regierende Meister Manchester City mit den größten Zahlen. Ende 2014 eröffnete der Klub unweit des Ethiad Stadium mit der City Football Academy ein neues Trainingszentrum um etwa 235 Millionen Euro. Seit damals holten die Citizens nicht nur sechs Meisterschaften und einen Champions-League-Titel. Ab 2017 nahm der Klub durch den Verkauf von jungen Talenten bis 2023 über 300 Millionen Euro an Transfererlösen ein. Dass der Klub für Spieler am Transfermarkt trotzdem hohe Summen für externe ausgibt, zeigen andere Zahlen. Das Transfersaldo seit 2019 zeigt ein Minus von ca. 378 Millionen Euro. Der Verein wird sich in den nächsten Jahren noch stärker auf die Ausbildung eigener Talente fokussieren müssen, um Strafen aufgrund des Financial Fairplay-Regulativs zu entgehen.
Talenteförderung in großem Stil passiert aber nicht nur auf Klubebene. Auch die Premier League gibt mit Projekten wie dem vor zwölf Jahren initiierten Elite Player Performance Plan (EPPP) oder der jüngst ins Leben gerufenen “Football Intelligence Platform” die Richtung im internationalen Fußball vor. Das Ziel ist klar: Junge Fußballer im besten Umfeld so gezielt wie möglich entwickeln – und das unter Zuhilfenahme modernster Trainingstechnologie und datenwissenschaftlicher Methoden.
Der Fokus auf gut ausgebildete, junge Spieler macht sich im internationalen Wettbewerb immer mehr bemerkbar. Im Schnitt sind die Kader der Premier League in den vergangenen 20 Jahren um 1,1 Jahre jünger geworden. Die beste Liga der Welt ist damit im Vergleich mit den anderen Topligen aus Deutschland, Italien und Spanien auch die jüngste. Die deutsche Bundesliga hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten dabei den größten Sprung gemacht, dort sind die Kader im Schnitt um 1,3 Jahre jünger geworden. Personalentscheidungen beim Rekordmeister FC Bayern München verstärken den Eindruck, dass diese Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist. Sportdirektor Christoph Freund legt in München seit Beginn seiner Amtszeit einen klaren Fokus auf eine stärkere Integration der Akademie in den Profibetrieb und hat dafür u.a. einen eigenen Talenteförderungs-Koordinator installiert.
Stukturierte Talenteförderung ist aber keine Budgetfrage. Was die Topteams auf höchstem Niveau mit entsprechenden finanziellen Ressourcen praktizieren, machen kleinere Ligen und Teams noch radikaler und sind damit vergleichsweise noch erfolgreicher. Die als Ausbildungsligen geltenden Spielklassen aus den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Österreich haben ihre Kader zum einen noch deutlicher verjüngt (auf unter 24 Jahre) und die besten Teams aus diesen Ländern haben es gleichzeitig geschafft, über längere Zeit daraus Profit daraus zu schlagen.
Der FC Red Bull Salzburg hat seit 2019 weltweit die im Schnitt jüngsten Spieler unter Vertrag genommen (20,93 Jahre) und gleichzeitig den Marktwert des Kaders in dieser Zeit von 96 Millionen auf 225 Millionen mehr als verdoppelt. Das schafft der Klub durch seit Jahren etablierte Ausbildungswege von der Akademie in die erste Mannschaft und darüber hinaus zum “Schwesterverein” in Leipzig, durch klaren Fokus im Scouting und durch klare Prinzipien im eigenen Spiel und der damit einhergehenden Kaderplanung.
Beim SK Sturm Graz liegt der klare Fokus auf das Scouten und Entwickeln internationaler Talente. Der Klub hat sich unter einer neuen sportlichen Führung vor vier Jahren einer klaren Spielphilosophie verschrieben und sucht davon ausgehend in definierten Zielmärkten Spieler mit großem Potenzial, die dem Klub Einnahmen am Transfermarkt bringen, die über den weiteren Erlösquellen des Vereins liegen. Rasmus Höjlund verpflichteten die Grazer um knapp 2 Millionen Euro im Winter 2022. Nach sieben Monaten wechselte der Mittelstürmer um 20 Millionen zu Atalanta Bergamo und ein weiteres Jahr später um 74 Millionen Euro zu Manchester United. Die klaren Prinzipien in der Talententwicklung förderten gleichzeitig den sportlichen Erfolg von Sturm, sodass der Klub den Marktwert des ersten Teams seit Sommer 2019 auf 55 Millionen Euro steigern und damit beinahe verdreifachen konnte.
Den nächsten Schritt hat in den Niederlanden auch AZ Alkmaar gemacht, die ihren Altersschnitt in den vergangenen Jahren auf 23,1 Jahren senken und gleichzeitig den Marktwert ihres ersten Teams von 59 auf 102 Millionen Euro steigern konnten. Der Klub profitiert dabei nicht nur von einem guten Scouting, sondern auch von einer hochwertigen Ausbildung und einer klaren Strategie in der Akademie.
Klubs aus der Eredivise gehören schon seit mehreren Jahren zu den Top-Entwicklungsklubs für Spieler, die später in den größten Ligen Fuß fassen. Die prozentuell gesehen meisten Transfers in eine Top-5-Liga (England, Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich) schaffte in den vergangenen 20 Jahren aber die Schweiz. 22,2 Prozent aller Spielerwechsel ins Ausland entfallen auf die besten Ligen Europas. Dahinter liegen die Niederlande, Portugal, Belgien und Österreich. Die meisten Transfers zu den größten Vereinen ermöglichte in der Schweiz der FC Basel. 57 Spieler transferierte der Rekordmeister zwischen 2003 und 2023 in eine Top-Liga, 20 Spieler davon brachten dem Verein eine Ablöse von über 5 Millionen Euro ein. Der teuerste Abgang war mit Breel Embolo für 26,5 Millionen Euro im Jahr 2016 ein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs.
Quer durch die Ligen und Vereine Europas, von groß bis klein zeigt sich also, dass das Rennen um die besten und für den eigenen Klub geeignetsten Talente entscheidend ist, um am Transfermarkt und damit insgesamt wirtschaftlich erfolgreich zu sein.